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Schweizer Auftakt bei der Fußball-EMRausch und Ernüchterung

Die Gastgeberinnen lassen sich beim EM-Auftakt von der positiven Stimmung beflügeln und verlieren doch. Die Gefühlslage ist deshalb zwiespältig.

Ernüchternder Rückschlag: Torhüterin Livia Peng greift daneben und Ada Hegerberg trifft zum Ausgleich Foto: Michael Buholzer/dpa

Glückliche Verliererinnen gibt es natürlich nicht. Aber die Schweizer Nationalspielerinnen hatten nach der 1:2 Auftaktniederlage gegen Norwegen schon erhebliche Probleme, ihre Gefühlslage zu sortieren. Denn vor der großen Enttäuschung war dieser große Rausch, der irgendwie immer noch nicht verebbt war. Und davor wiederum die vielen Berichte von der angeblich miesen Stimmung beim Gastgeberteam vor dem nahenden Eröffnungsspiel dieser EM.

Angefangen hatte es in Basel schon, als die Schweizer Nationalspielerinnen in der späten abendlichen Bruthitze von über 30 Grad zur Vorbereitung auf die Partie erstmals den Rasen des St. Jakob-Park betraten und vom Publikum mit euphorischer Begeisterung empfangen wurden. „Ich habe das Strahlen in den Augen meiner Mitspielerinnen gesehen“, erzählte Geraldine Reuteler. Und von sich selbst berichtete sie, Gänsehaut gar über das ganze Spiel gehabt zu haben.

Die positive Energie übertrug sich in der ersten Halbzeit ohne die geringsten Reibungsverluste auf das Fußballspiel der Gastgeberinnen. Mit begeisterndem Schwung übernahmen sie die Regie. Und spätestens als Nadine Riesen den Führungstreffer erzielte, wähnte man sich in einem Spielfilm, der sich doch trotz eventueller Rückschläge unweigerlich auf ein Happy End zu bewegen musste.

Eine Europameisterschaft vor heimischem Publikum eröffnen zu dürfen, so etwas erlebe man nie mehr, sagte Riesen nach der Partie. Sie habe sich vorgenommen, etwas zurückzugeben. Das war nicht nur wegen ihres Treffers nicht zu übersehen. Die linke Außenverteidigerin hatte einen enormen Vorwärtsdrang und wurde immer wieder gesucht.

Teamspirit von der Ersatzbank

Von der schlechten Energie, die sich vor dem Eröffnungsspiel im Team breitgemacht haben soll, weil Trainerin Pia Sundhage gerüchtehalber zu hart habe trainieren lassen, waren nicht die geringsten Spuren wahrzunehmen. Im Gegenteil, die Ersatzspielerinnen wirkten in der ersten Halbzeit an der Seitenlinie wie ein verlängerter Arm des Publikums und beklatschten frenetisch jede gelungen Angriffsaktion ihrer Teamkolleginnen.

So führte Riesens Weg nach ihrem Treffer auch schnell an den Spielfeldrand: „Wir haben einen unglaublich tollen Teamspirit“, hielt die 25-Jährige fest. „Ich bin schon einige Jahre in der Nati. Aber die Zeit vor der EM hat uns mega zusammengeschweißt. Ich wollte mit alle zusammen jubeln.“

Lia Wälti, deren Einsatz zuvor in Frage stand, war aus Sicht von Trainerin Pia Sundhage sehr bedeutsam für diesen Abend: „Sie hat das Team so viel besser gemacht.“ An der erste Halbzeit hatte die Trainerin nichts auszusetzen. „Es war wirklich ein gutes Spiel von unserer Seite.“ Aber auch Reuteler fiel auf, weil sie an fast allen torgefährlichen Aktionen beteiligt war.

Von den norwegischen offensiven Weltklassespielerinnen Ada Hegerberg und Caroline Graham Hansen war wiederum lange nichts zu sehen. In der ersten Hälfte gelang ihnen nicht ein Schuss aufs Tor. Bei den von der Schweiz begünstigten, siegbringenden Treffern Norwegens waren beide wiederum beteiligt. Hegerberg konnte nach einer Ecke einköpfen, weil sich die ansonsten gute Torhüterin Livia Peng verschätzte, und den scharfen Pass von Graham Hansen grätschte Julia Stierli unglücklich ins eigene Tor.

Für ein paar wenige Minuten herrschte geschockte Stille im St. Jakob-Park. Die Fantasien waren bereits geweckt, welche Vibrationen ein schwungvoller Schweizer Auftaktsieg auch für dieses Turnier bedeuten könnten. Doch binnen kürzester Zeit hatten die Schweizerinnen sich selbst neutralisiert.

Sundhage kündigte an, man werde diese unglücklichen Szenen nach der Halbzeit noch einmal genau analysieren, um die Spielerinnen für die Partie am Sonntag gegen Island, die möglicherweise schon über das Ausscheiden in der Vorrunde entscheidet, „in ihrer Zuversicht zu stärken“.

Analyse und Emotion sind im schweizerischen Team eng miteinander verbunden. Sundhage erklärte mit Blick auf das nächste Spiel am Sonntag in Bern an: „Wir werden Island ein hartes Spiel bieten. Das kann ich versprechen.“

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